Dienstag, 19. Januar 2016

Manuela Bößel: Elternsprech? The same procedure as every year.



Jedes Ding hat zwei Seiten, auch Elternsprechstunden. Daher bin ich der Autorin für die Perspektive einer nicht allein erziehenden, jedoch sorgeberechtigten Mutter sehr dankbar:


Schulen haben seit meiner Kindheit diesen ganz eigenen Geruch von Spitzerdreck, Apfelbutzen in diversen Verwesungszuständen und in den Wintermonaten diesen leichtgelben Hauch von Streptokokken.

Ich solle an der Tür des Lehrerzimmers klopfen, dort würde ich die Lehrerin meines Sohnes finden, teilt mir die Sekretärin mit. Meine telefonische  Anfrage vor Abfahrt Richtung Bildungsinstitut, „ob die Dame auch im Hause sei“, schwebt noch in kursivgedruckten Buchstaben um genervte Büroohren und lenkt die Mundwinkel Richtung Linoleum.

Eine blonde Rotbackige öffnet. Sie beugt sich in den Hüften nach unten, runter zu mir mit schräggelegtem Kopf – lächelnd – wie zu einem Kind. Sie ist nur eine halben Kopf größer als ich. Frau M. käme gleich. Dann knallt die schwere Tür vor meiner Nase zu und ich warte mit Mütze in der Hand auf dem Flur.

Nach einigen Minuten flattert Frau M. aus dem Lehrerrefugium. Das Sprechzimmer ist augenscheinlich belegt, so bittet sie mich zu den Tischen in der Pausenhalle. Ob es mir etwas ausmache, wenn wir uns dort zu unterhalten? Bevor ich mich setze, kehre ich Brösel vom Tisch und kontrolliere den mir zugewiesenen Stuhl auf hygienische Bedenklichkeiten, während ich die Tonart (nicht den Inhalt) ihres seit unserem Zusammentreffen plätschernden Redeschwalls einordne.

Ich eröffne mit meiner Schilderung der familiären Situation: geschieden, Sohn lebt beim Vater, einmal die Woche plus jedes zweite Wochenende bei mir.  Ja, auch ich bin selbstverständlich sorgeberechtigt und gebe gleich unumwunden zu, dass ich es nicht geschafft habe, den Exmann zur Weitergabe der Informationen zu erziehen. Das gilt lehrerinnenseits IMMER (!) als die Aufgabe der Frau. Deswegen bitte ich darum, parallel über schulische Belange informiert zu werden.

Diese Basisformulierungen kann ich inzwischen auswendig hersagen. Dann tue ich nichts anderes als: WARTEN und mir überlegen, was ich heute Mittag koche, während wie erwartet der Lehrerinnensprechfluss von oben am Berg fleißig sprudelt.

Die aktuelle Vetreterin dieses Berufsstands wählt die eher harmlose „Wie können Sie das als Mutter aushalten? Mir wär' das zuwenig, mein Kind soooo selten zu sehen...“-Variante. (Hin und wieder erlebe ich auch „Empörung über eine Rabenmutter, die ihre Familie verlassen hat“. Die ist ein bissel schwerer zu knacken.)

„Sein Vater hat gar nichts von Ihnen erzählt... ich konnte ja von Ihrer Existenz gar nichts wissen... Es ist mir völlig neu, dass Ihr Sohn auch eine Mutter hat... und Sie sind wirklich auch erziehungsberechtigt...?“, plätschert über den Tisch und spült die letzten Krümel fort.

Geschenkt – das bin ich gewohnt, damit habe ich gerechnet. Aus diesem Grund liegt in Sohnemanns Schülerakt mein Brief mit den eben aufgesagten Auskünften: Das bringt – wie erwartet – doch einige Unruhe ins Wasser zwischen uns. Altbekannte Defensivwellen bestückt sie mit Äußerungen zum Datenschutz, während sie Argumente zur beruflichen Arbeitsüberlastung von der Wand hinter mir abliest und dazulegt: Das könne die Schule nicht leisten. Das sei an dieser Schule nicht vorgesehen. Man könne nicht erwarten, dass sie jeden Schülerakt lese bei so vielen Schülern. Mit einem Fuß stehe sie ja sowieso ständig im Gefängnis! Und die Zeit, die mein Anliegen in Anspruch nähme! Undenkbar! Außerdem seien ihr Familienkonstellationen dieser Art nicht bekannt. Ja, „andersrum“ schon, wo die Kinder bei der alleinerziehenden Mutter leben, der Vater nicht sorgeberechtigt ist bzw. informiert werden darf. Da habe sie auch die entsprechenden Akten gelesen. Dafür gäbe es durchaus Handlungsvorgaben. Aber dass ein Kind beim Vater wohnt, obwohl eine Mutter existiert?

Nein, ich bin nicht tot.

Ich lasse sie noch ein paar Minuten echauffiert weiterpumpen, während ich einen Zettel beschrifte, zum Schiffchen falte und lächelnd in den verbalen Sturzbach zwischen uns setze. Verblüfft beobachtet sie weiter plappernd, wie es rechtwinklig zum Strom zu ihr hinüberschwimmt. Herausgepflückt und entfaltet offenbart sich ihr die Unverschämtheit: „Einen zweiten Sorgeberechtigten zu ignorieren, ist nicht schulrechtskonform.“

In der darauf folgenden, verlängerten Einatempause setze ich nach: Ich habe als Mutter ein großes Interesse, mögliche schulische Schieflagen frühzeitig zu erkennen und gemeinsam mit den Lehrkräften rechtzeitig gegenzusteuern.

Jetzt schnappt sie nach Luft, zieht die Strickjacke vor der Brust zusammen. Noch eine ganz kleine Weile, und wir können endlich auf dem kurzen Dienstweg funktionierende Vereinbarungen treffen! Hurra! Und zusätzlich, als Bonbon sozusagen, bekomme ich einen kleinen Einblick in die schulischen Leistungen meines Sohnes: alles soweit im grünen Bereich. Wie schön!

Fazit nach fünf Jahren Erlebnissen als „verschwiegene zweite Sorgeberechtigte“ mit zwei Söhnen an verschiedenen Schularten:

Das Drehbuch solcher Unterhaltungen bleibt das gleiche: Wertung, Angriff, Defensive – zirka je 30 Prozent (tendenziell mehr) der Gesprächszeit plus 10 Prozent (eher weniger), um über die Leistungen meines Kindes zu sprechen und gegebenenfalls Lösungsvorschläge zu erarbeiten.  

Der Begriff „Elternsprechstunde“ ist somit nicht zutreffend.

Aber das Tigerfell habe ich inzwischen in den Keller verfrachtet.

Soweit der Bericht, welcher mich im Gegensatz zu „Dinner for one“ kein bisschen amüsiert. Ich habe mich bei der Autorin für solche Kolleg/innen entschuldigt, was die Sache aber auch nicht besser macht.

Für solche Schulvertreter vielleicht noch ein paar Erläuterungen:

  1. Seit 1998 gilt das gemeinsame Sorgerecht als familienrechtlich angestrebter Normalfall. Es wäre schön, wenn sich dies nach 18 Jahren allmählich in den Bildungsinstituten herumsprechen würde.
  2. Dessen Ausgestaltung führt zwischen den Ex-Partnern häufig zu Problemen. Insbesondere werden schulische Informationen oft nicht an den Elternteil weitergegeben, welcher das Kind nur stunden- oder tageweise betreut.
  3. Dieser muss spätestens dann gesondert informiert werden, wenn er dies der Schule gegenüber erklärt.  
Wer’s auf juristisch braucht:
„Erziehungsberechtigte oder Erziehungsberechtigter im Sinne dieses Gesetzes ist, wem nach dem bürgerlichen Recht die Sorge für die Person der minderjährigen Schülerin oder des minderjährigen Schülers obliegt.“ (Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen – BayEUG – Art. 74)
„Widerspricht freilich ein Elternteil ausdrücklich oder wird von vornherein erklärt, dass es bei sämtlichen Vorgängen im Schulbereich ausdrücklich beteiligt werden will, so muss die Schule dies respektieren.“
(Kiesl/Stahl: Das Schulrecht in Bayern, Kommentar zum BayEUG)

  1. Bei welchem Elternteil ein Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, unterliegt nicht der Bewertung der Schule.
  2. Die Einstellung, geschiedene Frauen hätten sich gefälligst allein mit ihrem Exmann herumzuschlagen, ist inzwischen etliche Lichtjahre vom Familienrecht (und dem Grundgesetz) entfernt!

Bis zur nächsten Sprechstunde sauber abschreiben und vorzeigen, gell?

Samstag, 16. Januar 2016

Beschweren – aber richtig!


Liebe Eltern,

ist Ihr Leben öde und inhaltsleer? Können Sie sich gegen Ihren (Ex-)Partner nicht durchsetzen? Trampeln Ihnen Ihre (eigenen oder Patchwork-)Blagen schon lange auf den Nerven herum und/oder lassen sich nix mehr von Ihnen sagen? Gelten Sie eventuell sogar an Ihrem Arbeitsplatz als der Heini, den man halt mitschleppen muss, obwohl man ihn nur zu gerne loswürde?

Recyceln Sie Ihr ramponiertes Selbstbewusstsein mittels einer Institution, in welcher garantiert noch schlimmere Parias herumlaufen als Sie, wo Sie gefahrlos Ihren Frust ablassen und zu neuer Stärke finden können! Wenn Ihnen schon die familiäre Erziehung unwiderruflich entglitten ist: Kümmern Sie sich um die schulische Pädagogik – da können Sie stets mühelos schwerste Defizite entdecken!

Für die Erledigung der üblichen Standardfälle bieten sich bewährte Argumentationsweisen an, welche Sie im Einzelfall nur geringfügig an die jeweilige Situation anpassen müssen. Einige Beispiele:

Schlechte Noten sind natürlich generell ungerecht – zumal, wenn sie die Ihnen abstammungsmäßig zuzuordnende Intelligenzbestie betreffen. Ihre guten, da unwiderlegbaren Gründe dagegen:
-       Zu Hause hat er (sie) es gekonnt.
-       Der Lehrer ist ein Versager, weil er den Stoff nicht richtig erklären kann.
-       Mein Kind hat Angst vor der Lehrkraft.
-       Mein Sohn (Tochter) ist bei dem Lehrer unbeliebt.
-       Mein Kind fürchtet, bei zu guten Noten von der Klasse gemobbt zu werden.
-       Es ist unfair, ihm (ihr) wegen einem halben Punkt die schlechtere Note zu geben.
-       Die Bewertung ist völlig unverständlich.
-       Vor zwei Jahren gab es in diesem Fach keine Schwierigkeiten.
-    Er (sie) hat Leckhastenie.
-       Die Schule hat sich bisher auch nicht um das Problem gekümmert.

Sanktionen wegen störenden Verhaltens im Unterricht können Ihr Kind gar nicht betreffen. Warum?
-       Die anderen haben alle gesehen, dass er (sie) nichts gemacht hat.
-       Die anderen sind noch viel schlimmer.
-       Der Lehrer kann sich einfach nicht durchsetzen.
-       Da fand gar nichts statt, was man als Unterricht hätte bezeichnen können.
-    Er/sie hat ADHS, aber der blöde Arzt will kein Ritalin verschreiben! 
-       Die Schule hat sich bisher auch nicht um das Problem gekümmert.

Sollte Ihre häusliche Schlafhaube durch häufige Versäumnisse auffallen (insbesondere zu Prüfungszeiten) und sie jene stets bereitwillig in der Schule entschuldigt haben, bieten sich folgende Argumentationsstrategien an:
-       Er (sie) hat Schulangst, da von den Mitschülern bzw. Lehrern Mobbing ausgeht.
-       Soll ich jedes Mal zum Arzt rennen und ein Attest ausstellen lassen? Wer zahlt mir das?
-       Die Feststellung, ob mein Kind krank ist oder nicht, obliegt ausschließlich mir! Eine Einmischung der Schule verbitten wir uns!
-       Andere schwänzen auch und werden nicht bestraft.
-    Die Schule hat sich bisher auch nicht um das Problem gekümmert.

Wird Ihrem Kind vorgeworfen, per Cybermobbing Mitschüler oder Lehrer angegangen zu haben, sollten Sie folgendermaßen argumentieren:
-       Das kann gar nicht sein, weil wir ihm (ihr) das verboten haben.
-       Ich weiß gar nicht, dass er (sie) einen Computer hat.
-       Woher wissen Sie überhaupt, dass der Beitrag von ihm (ihr) stammt?
-       Sie haben sich über den Datenschutz hinweggesetzt!
-       Das ist eine Privatsache, in welche die Schule sich nicht einzumischen hat!
-       Die Schule hat sich bisher auch nicht um das Problem gekümmert.

Beleidigungen von Mitschülern oder Lehrern lassen sich leicht entkräften:
-       Das hat er (sie) gar nicht gesagt.
-       Das hat er (sie) so gar nicht gesagt.
-       Das hat er (sie) aber gar nicht so gemeint.
-       Wieso? Das stimmt doch!
-       Ich weiß auch nicht, woher das Arschloch solche Ausdrücke kennt!
-       Die Schule hat sich bisher auch nicht um das Problem gekümmert.

Der Vorwurf, Ihr Mistbatzen habe einem Mitschüler Gewalt angetan oder dessen Sachen beschädigt, lässt sich leicht widerlegen:
-       Der andere hat angefangen.
-       Der andere hat ihn früher mal verhauen (oder ihm sein Federmapperl  weggenommen).
-       Der andere hat ihn beleidigt, da musste er zuschlagen.
-       Er hat gar nicht zugeschlagen, der andere lügt.
-       Die Schule hat sich bisher auch nicht um das Problem gekümmert.
 
Sollte Ihr Filius (oder Ihre Filia, gibt es durchaus auch) bandenmäßig Mitschülern zugesetzt oder sonstiges Unheil gestiftet haben, bieten sich folgende Argumentationen an:
-       Er (sie) war nur mit dabei, hat aber nix gemacht.
-       Da waren noch andere dabei, und die werden nicht bestraft.
-       Der Mitschüler XY hat gesehen, dass er (sie) nicht dabei war.
-       Die anderen haben gesagt, sie waren auch nicht dabei.
-       Die Schule hat sich bisher auch nicht um das Problem gekümmert.

Bei der Androhung rechtlicher Schritte gegen die Schule sollten Sie unbedingt die folgenden Paragrafen zitieren:
-       § 185 StGB (Beleidigung)
-       § 186 StGB (Üble Nachrede)
-       § 187 StGB (Verleumdung)
-       § 225 StGB (Misshandlung von Schutzbefohlenen)
-       § 242 StGB (Diebstahl)
-       § 223 StGB (Körperverletzung)
-       Art. 1 Grundgesetz (immer gut!)
-       Da sollte sich die Schule mal drum kümmern!

Auch weitere rechtliche Argumentationen hinterlassen in Bildungsinstituten meist tiefen Eindruck:
-       Sie erhalten demnächst Post von meinem Anwalt!
-       Mein Anwalt hat einen Postanschluss.
-       Ich habe einen Anwalt.
-       Ich kenne jemanden, der einen Anwalt hat.
-       Ich weiß, dass es Anwälte gibt.
-       Da wird die Schule sich noch wundern!

Sollte die Schule gar die Frechheit haben, bei Ihnen „schwierige häusliche Verhältnisse“ zu vermuten, zum Beispiel durch familiäre Gewalt oder Alkoholabhängigkeit, ist heftigster Widerstand anzuraten:
-       Die Schule hat sich nicht in das Erziehungsrecht der Eltern einzumischen!
-       Wer hat Ihnen das erzählt? Mein Sohn lügt doch sowieso!
-       Das wird für Sie dienstliche Folgen haben!
-       Das können Sie nur von meiner Frau haben, der blöden Kuh!
-       Sie können sich auch gleich noch eine einfangen!
-       Diee Sschuhlä hadd sich bieshäär, hupps, auch niiichd um dass Probblääm gekühmärrd, hick!

Viel Erfolg und auf eine fröhliche „Erziehungspartnerschaft“!

P.S. Kollegen können hier gerne per Kommentar weitere Argumentationen aus ihrer dienstlichen Praxis zitieren!

Freitag, 8. Januar 2016

Es riecht nach Kölnisch Wasser



Ich habe wahrlich keine Lust, einen Beitrag zur „hohen Politik“ und schon gar nicht zur Flüchtlings- oder Ausländerproblematik zu schreiben. Das Thema ist schwierig und vielschichtig, und ich äußere mich nicht auf Gebieten, wo mir profunde Kenntnisse fehlen.

Als ich allerdings die Auftritte des Kölner Polizeipräsidenten ansah, wurde ich sehr wütend. Diesen Typus von Chef kenne ich auch aus meinem Berufsleben: Dem Mann ist seine Achselnässe nach oben verrutscht und in Mimik und Gestik gelandet. Das sind dann Vorgesetzte, welche an Schulen ihren Verbalradikalismus in Lehrerkonferenzen ausleben: Da werden beispielsweise die Kollegen aufgefordert, das Rauchverbot an der Bushaltestelle vor dem Bildungsinstitut stringent durchzusetzen, selber allerdings steuert man lieber mit seinem Wagen den Direktoratsparkplatz vor dem Hintereingang an. Schlimmer noch: Ist ein Lehrer dann tatsächlich so blöd, sich mit einem Delinquenten anzulegen und darob Beleidigungen oder Schlimmeres an den Kopf geworfen kriegt, beginnt hinter ihm der lautlose Rückzug: Härtere Ordnungsmaßnahmen oder gar ein Verfahren vor dem Disziplinarausschuss? Man muss doch Frieden sowie Ruf der Schule bedenken – und wahrscheinlich sei der Kollege halt mangels pädagogischen Fingerspitzengefühls übers Ziel hinausgeschossen…

Kennzeichnend für solche Schul- oder Polizeidirektoren ist ihre Fähigkeit, sich zu Tode zu lavieren: Da derzeit der Wind via Bundes- und Landesinnenminister plus Presse in die Gegenrichtung umgeschlagen hat, muss nun eine 80-köpfige Sonderkommission herhalten und recherchieren auf Deibel komm raus, um der empörten Öffentlichkeit zumindest eine Handvoll „Tatverdächtige“ präsentieren zu können, die man auf dem Kölner Bahnhofsplatz vor einigen Tagen zwar nicht bequem, aber doch hätte einsammeln können. Ich wage die Voraussage: Kaum einem davon wird man aufgrund verwackelter Handyfotos oder ungenauer Zeugenaussagen rechtskräftig einen Strick drehen können – zumal die Kölner Justiz ja für ihre „Härte“ bundesweit bekannt ist. Was man vor Ort versaubeutelt, kann man am grünen Tisch nicht retten. Dennoch: Die homöopathischen Globuli fürs aufgebrachte Volk werden es tun – und hoffentlich kommt bald eine andere Katastrophe, welche die Sendezeiten füllt. Reichlich 4711 aus der Domstadt wird den Gestank rechtzeitig vor Karneval vertreiben.

Wie kann es eigentlich sein, dass rund zweihundert eingesetzte Polizisten es nicht schaffen, gegenüber einem besoffenen Pöbel auch nur eine einzige Festnahme hinzubekommen, ja nicht einmal viele der angegriffenen Frauen wirksam schützen konnten? Immerhin wurde ja wohl ein Platzverweis ausgesprochen – insofern hätte man ziemlich wahllos zumindest mal ein Dutzend Unruhestifter in Polizeigewahrsam verfrachten können – und das hätte sich via Smartphone dann schon herumgesprochen! Und was den pyromanischen Irrsinn betrifft: Gibt es die Wasserwerfer, welche das Pulver nicht trocken gehalten hätten, nur für linke Demonstranten, oder war winterbedingt der Inhalt eingefroren?

Von deren Gewerkschaftsvertretern kommt auch nicht viel mehr als der bedingte Reflex, mal wieder mehr Planstellen zu fordern. Seltsamerweise waren beim G7-Gipfel im letzten Jahr locker 20000 Beamte verfügbar, da wurde tagelang auch noch der letzte Gulli verschweißt – während man die Verteidigung des Asylbewerberheims im sächsischen Freital gerade mal zwölf Hanseln überließ. Festnahmen: natürlich ebenfalls keine. Es fällt schon schwer, hier lediglich an völlige organisatorische Inkompetenz zu glauben. Und dem Staat gelingt es ebenfalls nicht, millionenschwere Fußballvereine zur Finanzierung der Kosten heranzuziehen, die wöchentlich bei der Bändigung ihrer halbirren „Fans“ anfallen.

Beamte lassen gerne in dem Moment ihre Überzeugungen fallen, wenn sie (per Beförderung) in die Lage versetzt werden, diese zu verwirklichen! Aus meinem Beruf kenne ich die Installation der berüchtigten „Schere im Kopf“ zur Genüge: Sich ja nicht angreifbar machen, keine Beschwerde riskieren, das gibt dann wieder stundenlange Schreibarbeit… Ja, wenn der keinen Ausweis hat, wie soll man dann seine Personalien feststellen? Wenn die Erfordernis, Frauen vor Sexualdelikten und Raub zu bewahren, keine „Gefahr im Verzug“ darstellt und somit ein resolutes Durchgreifen rechtfertigt, weiß ich nicht, worauf der berühmte Begriff aus der Strafprozessordnung dann noch anwendbar wäre!

Not kennt kein Gebot – und wenn daher in einem solchen Chaos einmal ein blaues Auge mehr anfallen sollte, haben die Beamten Vorgesetzte verdient, die hinter ihnen stehen und sie verteidigen. Damit will ich keine Polizeiübergriffe, die es ja auch gibt, rechtfertigen – auf der anderen Seite nützen aber auch mit Uniform verkleidete Sozialarbeiter nicht wirklich etwas, die dann noch über „fehlenden Respekt“ jammern. Aus meiner Schulpraxis weiß ich: Respekt bekommt man nicht einfach – man muss ihn sich verschaffen.

Besonders drollig finde ich dann die Bekenntnisse von Schreibtischseite, diese Zwischenfälle habe man so nicht erwarten können. Im Gegenteil: Befürchten musste man so etwas schon lange – vielleicht nicht so, aber in der Tendenz sehr wohl! Beispielsweise hätte man einmal das Buch der griechischstämmigen Beamtin Tania Kambouri lesen können: „Deutschland im Blaulicht: Notruf einer Polizistin“. Bereits vor zwei Jahre hatte sie per Leserbrief in der Zeitung der Polizeigewerkschaft auf die Problematik „junger Männer aus muslimisch geprägten Ländern“ aufmerksam gemacht. Der Innenminister, welcher heute wieder das Versagen seiner Polizeiführung zu vertreten hat, hatte damals bei einer Podiumsdiskussion gesagt: „Ich verstehe die Kollegin gut.“ Geändert hat das offenbar nichts – aber gut, dass wir mal darüber gesprochen haben.

Helfen würde die Konfrontation mit der Realität. Schon oft habe ich meine Forderung vertreten, Schulleiter müssten selber noch Unterricht geben, weil sie sonst den Eindruck verlieren, was es heißt, vor dreißig überdrehten Kids zu stehen. Und daher halte ich auch nichts vom Rücktritt von Polizeipräsidenten, sehr wohl aber etwas von deren gelegentlicher Abordnung zum nächtlichen Streifendienst in einem Problemviertel. Dies würde bei der Gruppe der Schreibtischsessel-Anwärmer im Höheren Dienst generell für realistischere Entscheidungen sorgen – und nicht für das modische Parfümieren von Desastern mit dem Duftwasser aus der Glockengasse.

Und das Schlimmste: Diese Ereignisse werden denjenigen Auftrieb geben, welche schon längst mit der Formel „Ausländer = Verbrecher“ hausieren (oder brandstiften) gehen.

Heute war zu vernehmen, das Kölner Polizeipräsidium habe für Silvester immerhin drei Hundertschaften zur Verstärkung von außerhalb angefordert, aber nur zwei bekommen. Und – jetzt lachen Sie nicht – so eine Hundertschaft besteht aus 80 Mann! (Reprisen-Gag: Inzwischen lese ich, deren damalige Stärke habe bei 38 Beamten gelegen nix Genaues weiß man offenbar immer noch nicht...) Nun noch der Obergag: Nein, nach neuesten Meldungen hat die Polizeidirektion Köln selber die dritte Hundertschaft abgelehnt!

P.S. Das Buch von Frau Kambouri ist wirklich – auch für Lehrer – sehr  empfehlenswert:
http://www.amazon.de/Deutschland-Blaulicht-Notruf-einer-Polizistin-ebook/dp/B013WXSTCW/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1452207904&sr=1-1&keywords=tania+kambouri

P.P.S. Nun wurde der Kölner Polizeipräsident in den einstweiligen Ruhestand versetzt, d.h. er wird künftig auch offiziell fürs Nixtun bezahlt. Mein Vorschlag, ihn zum Streifendienst abzuordnen, war eh verfehlt: Der studierte Jurist hat offenbar keine Polizeiausbildung; laut Wikipedia tat er nach dem Staatsexamen in der Bezirks- und später Landesregierung Dienst und wurde dann Polizeipräsident in Bonn, wo er Personal abbaute. In der Schutzpolizei war er wohl nie tätig!