Dienstag, 13. Oktober 2015

Der Fisch stinkt vom Kopfe her



Sprichwort: Im (Fisch)kopf ist das leicht verderbliche Hirn. Dort fängt der Fisch zuerst an zu stinken.“

Der im letzten Artikel beschriebene Ablauf einer ziemlich heftigen Elternbeschwerde bezog ja schon eine wichtige Instanz mit ein: den Schulleiter (wegen der paar Prozent Frauen in diesem Job lohnt eine Gender-Correctness nicht).

Hinsichtlich dieser Person habe ich in solchen Fällen einen ziemlich stereotypen Ablauf erlebt, der es fraglich macht, ob ich bei meinen Erfahrungen stets an Zufälle geraten bin:

·         Während man mit einem eigenen Anliegen oft tagelang auf einen Termin beim Chef warten muss, werden querulierende Eltern gern gleich telefonisch durchgestellt, statt dass man sie zunächst an die zuständige Lehrkraft verweist oder erstmal warten lässt, bis sie sich etwas abgekühlt haben. So wird auch der windigste Firlefanz gleich zur „Chefsache“ aufgeblasen – die einschlägigen Dramatisierungen inklusive.
 
·         Der arme Schulmeister wird bei solch „hochwichtigen“ Affären dann oft unverzüglich vom Flur ins Direktorat gezerrt: „Gut, dass ich Sie gerade sehe – wir müssten mal was Dringendes besprechen.“ Merke: Elternwünsche haben stets Vorrang! Übrigens besteht zwischen der Hektik der Sachbehandlung und der Wichtigkeit des Vorfalls keinerlei Relation: Es muss keine Note Fünf im Abitur sein – es reicht durchaus, wenn Sie einen „Turnbeutelvergesser“ zum Aufräumen der Gymnastikmatten verdonnert haben: Hauptsache, die Erziehungsberechtigten sind empört genug!
 
·         A priori spricht ein solches Vorkommnis schon mal gegen den Lehrer, was man oft schon unter Augenbrauenrunzeln als ersten Satz vernimmt: „Der Vater des Schülers … hat vorhin angerufen und sich über Sie beklagt.“ Merke: Einem guten Lehrer passiert so etwas nicht – und nun machen Sie Ihrem Direktor mit der „leidigen Angelegenheit“ auch noch Arbeit!
 
·         Nicht, dass Sie nun glauben, bei der anschließenden Unterredung ginge es um die Berechtigung oder gar den Sinn Ihrer Maßnahme! Ziel ist einzig und allein die „Wahrung des schulischen Friedens bzw. Ansehens“ – vulgo, die Eltern sollen genügend beruhigt werden, um von weiteren Attacken abzulassen. Zugeständnisse Ihrerseits werden als selbstverständlich vorausgesetzt – eine geeignete Lehrkraft beharrt eben nicht stur auf Ihrem Standpunkt, und mag der noch so richtig sein!
 
·         Zu oft kommt es schließlich dazu, dass Ihre ursprüngliche Entscheidung relativiert oder gar storniert wird. Mit der Folge, dann als Lehrer zu gelten, dessen Anweisungen nicht ernst zu nehmen sind, dürfen Sie alleine fertig werden – oder mit der berühmten „Schere im Kopf“, lieber inkonsequent zu sein als die nächste Beschwerde am Hals zu haben.

Ich war wohl in meinem Berufsleben (vielleicht am Anfang mehr als gegen Ende) das, was man einen „strengen Lehrer“ nennt. Der Grund dafür könnte nicht zuletzt darin liegen: Während zu meiner eigenen Schulzeit Lehrer „Halbgötter“ waren (der Chef natürlich das Doppelte), hatten sich die Machtverhältnisse in meiner Referendarzeit schon ziemlich umgekehrt. Der typische Seminarlehrer warf dann im Notfall lieber seine Leute den Schülern zum Fraß vor, auf dass sie ihn selber in Ruhe ließen. Sehr bald wurde mir klar:

Wir Lehrer haben den Rücken frei, denn hinter uns steht niemand mehr.

Am besten war es, seine Entscheidungen im Alleingang durchzudrücken – auf Hilfe „von oben“ sollte man sich lieber nicht verlassen. Da wird man dann im Unterricht schon mal etwas lauter und entschlossener, als einem wirklich zumute ist…

Was ist der Hintergrund des ganzen Dilemmas? Wir könnten hierzu natürlich eine Vielzahl gesellschaftlicher Faktoren diskutieren, um hernach festzustellen, dass wir diese nicht ändern werden. Ich möchte mich dagegen auf einen Punkt konzentrieren, der – zumindest nach meinen Erfahrungen – ziemlich maßgeblich für die zunehmende Frustration und „innere Emigration“ in der Lehrerschaft ist:

Die meisten Schulen werden von Personen geleitet, die hierfür nicht sehr geeignet sind.

Wenn Sie sich von Ihrer Ohnmacht wieder erholt haben, möchte ich Ihnen gerne typische Persönlichkeitsstrukturen und Verhaltensweisen von Menschen beschreiben, die gemeinhin an die Spitze von Bildungsinstituten führen:

·         Diese Personen weisen fast immer ein exzellentes Fachwissen auf, was durch beste Noten im ersten und zweiten Staatsexamen dokumentiert wird.
 
·         In ihrer schulischen Karriere fallen sie durch höchst innovativen (vielleicht nicht immer effektiven) Unterricht auf und machen sich einen Namen durch Beteiligung an allen möglichen klassen- und schulübergreifenden Projekten.
 
·         Sie zeichnen sich durch hohe kommunikative Kompetenz aus, welche sie vielleicht nicht ganz altruistisch, sondern durchaus zum Verfolgen des eigenen Fortkommens einsetzen. Daher erhalten sie beste Beurteilungen, was ja zur Berufung auf eine solche leitende Position unabdingbar ist.
 
·         Sie gehören zum Typus des „24-Stunden-Lehrers“: Die Schule ist ihr einziger Lebensinhalt, sie verbringen dort mehr als die Hälfte des Tages, was natürlich ihren Vorgesetzten sehr positiv auffällt.
 
·         Sie denken und handeln „mainstream“ unter steter Beachtung einer größtmöglichen Zustimmung für ihre Aktivitäten. Fällt diese zu gering aus, können sie ihre Inhalte ziemlich flexibel und ohne schlechtes Gewissen variieren. Konflikten mit Gleich- oder Höherrangigen gehen sie aus dem Weg. Ein „Querkopf“ oder gar „Rebell“ sind sie niemals.

Stellt man eine solche Person an die Spitze eines Instituts mit einer eher vierstelligen Schülerzahl, beginnen die obigen Eigenschaften sich (weiter) zum Negativen zu entwickeln:

·         Da sie auf Grund ihrer professionellen Leistungen sowieso zu einem gewissen „Primusdenken“ neigen, verfestigt sich die Einstellung, nun aber auch wirklich alles Schulische besser beurteilen zu können als der Rest.
 
·         Eingedenk ihrer eigenen Aktivitäten ist ihnen ein Kollegentypus, der seine Arbeit auf den Unterricht konzentriert (und mag der noch so wirkungsvoll sein) ein Gräuel – „Aktivitätsepileptiker“, „Sozialarrangeure“ und "Grillfestorganisatoren" haben da mehr Chancen.
 
·         Ihre Neigung, das Leben außerhalb der Schule zu ignorieren, setzt sich weiter fort mit dem Ergebnis, dass sie zum „Workaholic“ werden - in der Endphase getrieben von der Überzeugung, dass sie unersetzlich sind und ohne sie nichts mehr geht.

·         Hieraus resultieren schwerste Mängel in der Fähigkeit, Aufgaben zu delegieren: Wenn, dann erfolgt dies höchstens aus totaler Arbeitsüberlastung, und beim geringsten Zweifel mischt man sich wieder ein und demonstriert dem Untergebenen, dass er es „halt nicht kann“ – was zumindest auch ein Grund für die fortschreitende Unselbstständigkeit in der Lehrerschaft ist.
 
·         Der „Mainstream-Zwang“ weitet sich aus: Entscheidungen von Lehrkräften werden weniger auf ihre Richtigkeit denn ihre Popularität geprüft. Konflikte scheut man wegen des „großen Ganzen“ mehr denn je – und Eltern können halt mehr Ärger machen als Lehrer, welche man ja notfalls per Dienstrecht in den Griff kriegt.
 
·         Natürlich ist es wahr, dass die Bildungsministerien sich alle Mühe geben, Direktoren mit jeder Menge Erlassen und Anweisungen zu beschäftigen – ebenso stimmt es aber auch, dass kaum ein Chef es wagt, unsinnigen Formularmüll einmal liegen zu lassen. Wie gesagt: Rebellen sind sie nicht, und mit steigender Position wächst die Angst vor dem Absturz.
 
·         Wegen all der Arbeitsüberlastung müssen die Leiter größerer Schulen meist keinen oder kaum noch selber Unterricht geben. Nach einiger Zeit wandelt sich daher ihre Berufsauffassung völlig: Sie sind kein Lehrer mehr, sondern Verwaltungsbeamter. Ob dies nun ihr Motiv für die Bewerbung um einen Chefposten war oder nicht: Das Verständnis für die Probleme „an der Front“ geht verloren. Man vergisst, wie leicht man dort straucheln kann und wie nötig dann eine Rückendeckung wäre.

Ich hätte mir in meinen Berufsleben mehr Schulleiter gewünscht, die

·         ruhig hätten schlechtere Staatsexamensnoten haben können. Hochgestochenes akademisches Wissen oder pädagogische Definitionen spielen im Klassenzimmer kaum eine Rolle, bei der Leitung einer Bildungseinrichtung gar keine.
·         in erster Linie Meister des Unterrichtens sind und dies auch weiterhin tun – als Vorbild für ihre Lehrer.
·         das unterrichtsferne Schaufenster-Getütere in Form von „Projekten“ und „Schulinnovations-Geschwätz“ in Grenzen halten zugunsten des Fokus darauf, wie man den Schülern wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln kann.
·         wissen, an wen sie welche Aufgaben vertrauensvoll delegieren können – und ihn dann auch machen lassen.
·         nach außen und oben hin Courage zeigen und unpopuläre Entscheidungen vertreten, wenn sie von deren Richtigkeit überzeugt sind.
·         wissen, dass es ein Leben außerhalb der Schule gibt, und intensiv daran teilnehmen – auch, wenn das „Forum Schulentwicklung“ dann einmal ausfallen sollte...
·         sich bei Attacken auf ihre Lehrer nicht als „neutraler Moderator“ gerieren, sondern sich daran erinnern, dass die Lehrkräfte ihre Kollegen sind – und nicht nur waren.

Dies alles dürfte in vielen Ohren hart klingen. Man muss aber wissen, dass Direktoren an ihrer Schule eine sehr weitgehende Entscheidungsbefugnis haben. Wenn es daher in einer solchen Einrichtung müffelt, sollte man die Geruchsquelle nicht im Klassenzimmer suchen...

Montag, 12. Oktober 2015

Unversandter Brief an einen ungehaltenen Vater



Beim „Ausmisten“ meiner Schulunterlagen fiel mir der folgende Brief in die Hände. Er bezieht sich auf die seinerzeitige Beschwerde eines Vaters wegen einer mündlichen Note in Biologie für seine Tochter in der K 12. Dass solche Vorgänge heutzutage kaum einmal in einer sachlich-entspannten Atmosphäre verlaufen, ist Berufsalltag. Die Schmutzkübel, die damals über mich ausgegossen wurden, sind allerdings schon rekordverdächtig.

Die Tochter wechselte anschließend vom Grund- in den Leistungskurs Biologie, in Mathematik umgekehrt. Ein Gespräch, das ich kurz darauf mit ihr führte, ergab, dass sie die Sache nicht halb so dramatisch empfunden hatte wie ihr Vater. Auch der Kurswechsel, so versicherte sie mir, ginge nicht auf diesen Vorfall zurück, sondern auf ihre Probleme mit Mathematik.

Ich schrieb damals dem Vater einen persönlichen Brief, den ich aber erst abschicken wollte, wenn seine Tochter das Abitur bestanden hatte und somit keine Besorgnis meiner „Befangenheit“ mehr bestand. Irgendwie konnte ich mich dann doch nicht dazu entschließen – die im Schreiben erwähnten Konsequenzen jedoch habe ich gezogen. Welche? Nun, lesen Sie selbst:    

Sehr geehrter Herr …,

ich schreibe Ihnen diesen Brief bereits jetzt (…), werde ihn aber erst abschicken, wenn (Ihre Tochter) ihr Abiturzeugnis erhalten hat. Der Grund: Ich möchte jede Möglichkeit vermeiden, dass Ihre Tochter oder auch die Mitschüler ihres Jahrgangs in irgendwelcher Weise in diese Auseinandersetzung hineingezogen werden bzw. die geringsten Zweifel an meiner dienstlichen Unvoreingenommenheit ihnen gegenüber entstehen könnten. Diese Verantwortung hinsichtlich meiner Schüler hat mich auch damals davon abgehalten, Ihnen auf Ihr unglaubliches Verhalten die entsprechende Reaktion zukommen zu lassen. Die Gefahr, dass dies das Klima an der Schule bzw. in den entsprechenden Kursen vergiftet hätte, war mir einfach zu groß. Auch dass Sie sich verantwortungslos verhalten haben, entbindet mich nicht von dieser Pflicht.

Hinzu kommt, dass ich mit (Ihrer Tochter) oder ihren Mitschülern nicht wirklich ein Problem hatte und habe. Selbst wenn wir einmal unterstellen, ich hätte Ihre Tochter damals wirklich zu hart, zu ungeduldig oder inhaltlich nicht adäquat befragt: Solche Dinge kommen an allen Orten, wo über tausend Menschen täglich miteinander umgehen müssen, in der Hektik des „Betriebs“ vor – und jeder Pädagoge (der es länger als einige Monate an der Schule aushält) ist geradezu darauf angewiesen, in solchen Fällen Rückmeldungen zu erhalten, damit nicht irgendwelche störende Eindrücke bestehen bleiben, die keinem der Beteiligten weiterhelfen. Ich hätte mir damals gewünscht, (Ihre Tochter) oder andere Schüler hätten mich möglichst bald auf ihre Sichtweise der Ereignisse hingewiesen, dann hätte man in Ruhe darüber reden und das Problem höchstwahrscheinlich klären, mindestens aber verringern können.

Dies war dann ja auch letztlich das Ergebnis der Unterredung mit Ihrer Tochter, bei dem die Sache ziemlich relativiert, insbesondere mir keinerlei „böse Absicht“ unterstellt wurde. Und bei ihren Mitschülern im Kurs hatte ich vorher und nachher nicht im Geringsten den Eindruck einer gespannten oder gar „verängstigten“ Atmosphäre. Übrigens entspricht es der Lebenserfahrung, dass es stets „selektive Wahrnehmungen“ gibt: Wenn beispielsweise Schüler aus dem Unterricht erzählen, werden sie die Schwierigkeit des Stoffes oder die „Strenge“ des Lehrers mehr betonen als die Tatsachen, dass man hätte besser aufpassen, sich gründlicher vorbereiten oder sich kooperativer verhalten sollen. Dies soll kein Vorwurf sein, sondern nur ein Hinweis auf allgemein menschliche Tendenzen.

Womit ich damals, gelinde gesagt, ein Problem hatte und auch heute noch habe, sind ausschließlich Sie, Herr (…) – und es würde für Ihren Mut sprechen, wenn Sie es bei dieser bilateralen Auseinandersetzung beließen und nicht irgendwelche Dritten, die letztlich keine Schuld haben, wieder als Waffe missbrauchen würden.

Um nicht ständig Details zitieren zu müssen, lege ich Ihnen meine Gedächtnisprotokolle zu den damaligen Ereignissen vor – übrigens hat mir noch niemand gezeigt, was Sie diesbezüglich zu Papier gebracht und dem Schulleiter vorgelegt haben. Soviel schon einmal zum Thema „Fairness“ – später noch mehr.

Ich stelle zunächst einmal fest, dass Sie damals offenbar von vornherein entschlossen waren, jemanden, den Sie überhaupt nicht persönlich kannten, den Sie am Tag der Sprechstunde wohl zum ersten Mal überhaupt sahen, in der gehabten Weise mit Attacken zu überziehen. Dies war Ihr erster und entscheidender Fehler, denn hätten Sie mich gekannt, so wäre Ihnen klar gewesen, dass ich Ihnen einen derartigen Affront nicht durchgehen lasse.

In Ihrem Schreiben vom (…) baten Sie mich um einen „Besprechungstermin“, den ich Ihnen noch am selben Tag ermöglichte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihnen der Sinn dieses Begriffs auch nur ansatzweise klar war. Er bedeutet nämlich, dass man wenigstens grundsätzlich bereit ist, sich auf die Darstellung, die Argumente des Gesprächspartners einzulassen, versucht, die Sache auch einmal von der Seite des Gegenübers zu sehen. Stattdessen führten Sie mit mir ein Verhör, in dem Sie bestimmten, wer wann und wozu etwas zu sagen habe, maßten sich berufliche Kenntnisse an, über die Sie in keiner Weise verfügen, ja vermieden nicht einmal die Geschmacklosigkeit, einen auf die Verfassung vereidigten Beamten nach Grundgesetzartikeln auszufragen – und der anmaßende, impertinente Tonfall passte dazu. Ihre mehrfache Einlassung, Sie würden mir sowieso nichts glauben, sondern seien „wütend und zornig“ auf mich, disqualifizierte Sie als Gesprächspartner natürlich vollends. In der Summe steht für mich fest, dass es Ihnen nicht um die Klärung oder gar Lösung von Problemen ging, sondern um Einschüchterung, um den Aufbau einer Drohkulisse. Dies, lieber Herr (…), war Ihr zweiter Fehler, denn hätten Sie mich gekannt, so wäre Ihnen die Aussichtslosigkeit eines solchen Vorhabens klar gewesen.

Da Sie im Detail nicht wirklich wichtige oder harte Fakten hinsichtlich der Notengebung vorweisen konnten, verlegten Sie sich auf den atmosphärischen Bereich: Ich hätte Ihre Tochter „in ihrer Würde demontiert“, sie „in die Enge getrieben“, „zum Deppen gemacht“. Generell sei ja von mir bekannt, dass die Schüler „Angst vor mir hätten“, sich „nichts zu sagen trauten“. Ich weiß nicht, ob es Sie überhaupt noch erreicht, dass Sie damit (außer sexuellen Verfehlungen) die schlimmsten Vorwürfe erheben, die man einem Lehrer gegenüber ins Feld führen kann – aber angesichts des sonstigen „Vernichtungsfeldzugs“ gegen mich fürchte ich: Es war Ihnen klar. Wenn Sie wirklich davon überzeugt waren, wieso haben Sie dann nicht eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen mich erhoben, namentliche Aussagen von Mitschülern eingeholt oder sind wenigstens einmal als Gast in meinen Unterricht gekommen, wie ich es Ihnen angeboten habe? Die Antwort ist für mich klar: Dann hätten Sie Ihre Vorwürfe beweisen bzw. überprüfen müssen, und es wäre herausgekommen, dass diese haltlos sind. Wie passt es denn zur Schwere der Vorhaltungen, wenn (Ihre Tochter) mir gegenüber erklärt, sie wäre in meinem Kurs geblieben, wenn der Wechsel des Leistungskurses nicht eine andere Lösung erzwungen hätte? Kann das dann alles so schlimm gewesen sein? In der Summe steht für mich fest, dass es Ihnen nicht um die Wahrheit ging, sondern darum, mich mit Dreck zu bewerfen.

Es ist ja so „einfach“, irgendwelche Gerüchte und Vermutungen einfach zur Tatsache zu erklären, wenn es einem gerade in den Kram passt! Sollte ich das auch einmal versuchen? Es ist ja schon ungewöhnlich, dass eine fast achtzehnjährige Kollegiatin emotional derartig abstürzt, wenn sie sich einmal in einem Grundkursfach nicht adäquat geprüft und bewertet fühlt (wobei ich einmal, trotz Ihres sonstigen Verhaltens, Ihre dramatische Schilderung der Wirkung auf Ihr Kind als zutreffend unterstelle – ich war ja nicht dabei). Wenn dem so war, dann erscheint mir überhaupt nicht plausibel, dass ich in zwei Unterrichtsstunden plus einer knappen Viertelstunde mündlicher Prüfung eine solche Reaktion provoziert haben könnte. Es gibt andere Menschen, die viel länger auf (Ihre Tochter) einwirken, und da, Herr (…), stehen Sie an der Spitze der „Verdächtigen“ – auch da Sie ihr gar so selbstverständlich Dinge aus der Hand nahmen, um die sich eine beinahe Volljährige gemeinhin eher selber kümmert! Ich könnte mir den „Einbruch“ Ihrer Tochter jedenfalls durchaus so erklären, dass sie unter einer riesigen Erfolgserwartung steht. Fühlt sie sich vielleicht von Ihnen bedrängt und unter Druck gesetzt in der Hinsicht, sie dürfe niemals versagen, müsse stets exzellente Noten bringen, dürfe ihren Vater nicht enttäuschen? Soll sie gar die Erfolge einheimsen, welche Ihnen im Leben versagt geblieben sind?

Sie sollten den Unterschied beachten, dass ich gerne zugebe, hier nur zu spekulieren – denn beweisen kann ich das alles nicht. Sie dagegen „verkaufen“ die entsprechenden Vermutungen und Verdächtigungen als Tatsachen!

Kein Lehrer (der diese Berufsbezeichnung halbwegs verdient) wird es leicht nehmen, wenn ein Schüler in Zusammenhang mit seinem Unterricht traurig und frustriert ist oder gar noch heftig weint (laut Aussage des Vaters tat sie das zu Hause). Nur sollte man sich auch noch in einem anderen Zusammenhang mit der Möglichkeit befassen, dass auch Lehrkräfte zu den menschlichen Wesen zählen: Während der ganzen Affäre hat keiner der beruflich Beteiligten auch nur ansatzweise nach meiner physischen und psychischen Situation gefragt. Daher muss ich mich wohl selber darum kümmern. Nur in Kürze zur Information: Vor einem Jahr wurde bei mir eine Krebserkrankung diagnostiziert, die mit belastenden Untersuchungen und Therapien (u.a. sechs Chemozyklen) verbunden war. Obwohl mir meine Ärzte dringend rieten, für längere Zeit nicht arbeiten zu gehen, bin ich bis auf wenige Fehltage beruflich aktiv geblieben, denn ich wollte keine Mehrarbeit für die Kollegen, wollte meinen Leistungskurs selber zum Abitur führen, nicht als Klassenleiter ausfallen u.v.m. Ich war sehr stolz darauf, dass ich die ganzen Schwierigkeiten meisterte –  und dabei hat mir der Beruf sicherlich auch geholfen.

Ihr Auftritt damals in der Sprechstunde hat bei mir zu einem totalen Absturz geführt: Mit zusammengebissenen Zähnen die ohnehin schon großen gesundheitlichen und schulischen Belastungen und Zumutungen zu ertragen und sich dann noch derart infamen Anwürfen ausgesetzt zu sehen – das war mir zuviel. Ich beschloss am gleichen Tag, die Möglichkeiten meiner Schwerbehinderung auszuschöpfen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt in den Ruhestand zu gehen. Nicht, dass Sie nun glauben, Sie wären hierfür der Hauptgrund oder auch nur eine wesentliche Ursache – so wichtig sind Sie nicht. Aber irgendwann kommt halt der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Wie soll man sich auch gegen solche Rufmorde wehren? Selbst wenn nichts beweisbar ist und sich vieles sogar widerlegen lässt: „Der schüchtert doch immer wieder seine Schüler ein“… „Da war doch erst letztes Jahr so ein Fall mit einer Kollegiatin!“ …
„Die hat doch wegen ihm den Kurs wechseln müssen…“ Es ist so leicht, Schmutz aufzurühren und so schwer, alles wieder sauber zu bekommen – und es ist genauso ekelhaft, wie es klingt. Unter solchen Bedingungen sehe ich keinen Sinn mehr darin, meine 34-jährige Arbeit noch länger fortzusetzen.

Sie, Herr (…), müssen jedenfalls von mir den Vorwurf entgegennehmen, dass Sie versucht haben, mich unter Druck zu setzen und in die Enge zu treiben, meine Würde und mein berufliches Ansehen zu demontieren, mich zu einem „Monster“ zu machen, das seine Schüler drangsaliert. Sollten Sie hierüber oder zu Ihren Anwürfen von damals juristische Auseinandersetzungen wünschen, steht Ihnen meine Anwaltskanzlei hierzu gerne zur Verfügung. Ansonsten möchte ich in meinem restlichen Leben von Ihnen nichts mehr hören und sehen.


In der Annahme, dass dies von Ihnen nur als „Floskel“ verstanden würde, verzichte ich auf eine Grußformel.

Gerhard Riedl

P.S. Nach dem fulminanten Auftritt, den der Herr Papa in meiner Sprechstunde hinlegte, beschwerte er sich sofort schriftlich über mich bei meinem Chef, von welchem ich umgehend eine „Vorladung“ erhielt. Vorausahnend hatte ich bereits eine schriftliche Stellungnahme zu den Ereignissen formuliert, die ich ihm bei unserer Unterredung anbot. Seine Reaktion werde ich nie vergessen: „Nein, ich möchte das erst einmal mündlich von Ihnen hören“ (wahrscheinlich, um meine "Glaubwürdigkeit" zu beurteilen). Passend dazu nahm mein Schulleiter die Pose eines „Richters“ ein, welcher nun den Streit der Parteien zu judizieren habe. Wahrlich, ein „Kollege“ saß mir da nicht gegenüber!

Natürlich kam bei der Sache genau nichts heraus – wohl vor allem, weil nichts dran war. Bis heute kenne ich übrigens weder das Beschwerdeschreiben des Vaters noch habe ich je eine Rückmeldung meines Chefs erhalten, wie er denn nun die Sache abschließend sehe.

Fazit: Mir blieb die Rufschädigung plus zirka zehn Stunden Mehrarbeit für Gespräche und Stellungnahmen – übrigens wegen der Note Vier (05 Punkte). Meine derzeitige, recht üppige Pension sehe ich daher durchaus als nachgeholte „Schmutzzulage“…